landraub: „als würden wir nicht existieren“

Hirten und Kleinbauern sollen in Tansania vertrieben werden. Die Weltbank und die Bundesregierung billigen ein Vorhaben, das die Rechte indigener Völker verletzt.

Salumu Kundaya Kidomwita muss weichen. Das tansanische Dorf, in dem der Hirte lebt, soll Platz machen für ein Großprojekt, das in dieser Region geplant ist. Es ist bereits seine zweite Vertreibung. 2008 musste er schon einmal seine Heimat verlassen, weil dort eine Reisplantage entstand. Nun will die Regierung in seinem neuen Dorf Kwa Wagonzi einen Staudamm bauen. Von der Bewässerung der geplanten umliegenden Agrarplantagen wird vor allem ein anderes Mega-Infrastrukturprojekt profitieren. Es heißt Sacgot und soll knapp zwei Millionen Menschen aus der Armut helfen.

Der Hirte Kidomwita lebt in der Morogoro-Region im Südosten des afrikanischen Landes. Dort, wo sein Vieh weidet, sollen ausländische Investoren in Sagcot investieren, um auf großflächigen Plantagen Reis oder Zucker anzubauen. Auf einem Drittel der südlichen Landfläche möchte die Regierung mit dem Agrarprojekt die Lebensbedingungen der Menschen verbessern. Mit Großkonzernen wie Unilever, Monsanto und Bayer als Projektpartner. Und mit deutschen Entwicklungsgeldern.

Auf Drängen des Landes werden Schutzklauseln einfach außer Kraft gesetzt

Schon vor Projektbeginn hatten Hirten und Menschenrechtsorganisationen berichtet, mindestens 5000 Ureinwohner seien vertrieben worden oder hätten ihre Lebensgrundlage verloren. Bei Aktionen auch staatlicher tansanischer Kräfte sei es zu Todesfällen, Vergewaltigungen und anderen Menschenrechtsverletzungen gekommen. So dokumentiert es eine Untersuchung der Indigenen-Organisation IWGIA. Weitere Landkonflikte wurden in den vergangenen Jahren vom Hilfswerk Misereor und einem Gutachten im Auftrag der tansanischen Regierung festgehalten.

Erst im März dieses Jahres hat die Weltbank als größter Finanzierer von Entwicklungshilfe weltweit unter Zustimmung der Bundesregierung dem umstrittenen Projekt Sagcot einen Kredit über 70 Millionen Dollar bewilligt. Das belegen die Recherchen der Süddeutschen Zeitung, des NDR und WDR in Zusammenarbeit mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). Auf Drängen der tansanischen Regierung hat die Weltbank zugestimmt, bei dem Projekt die Klausel für indigene Völker außer Kraft zu setzen, die in den Schutzmaßnahmen der Entwicklungsbank verhindern soll, dass deren Rechte missachtet werden.

Die tansanische Regierung begründete ihre Forderung damit, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien. Deswegen könne man indigenen Stämmen keine Sonderrechte einräumen. Die Bundesregierung hat im Board der Weltbank, das über jedes Projekt entscheidet, als viertgrößter Geldgeber ein Stimmrecht. Aber nur selten nutzt sie ihren Einfluss, um ein Veto oder eine Enthaltung auszusprechen. Die deutsche Vertreterin stimmte am 10. März der Aussetzung der Schutzmaßnahmen zu.

Auf Anfrage begründet die Bundesregierung ihre Entscheidung ebenso wie die Weltbank damit, dass die tansanische Regierung in einem alternativen Konzept zugesichert habe, Landrechte zu wahren, gefährdete Gruppen zu schützen und sie in Entscheidungen miteinzubeziehen. Vertreibungen in der Projektregion seien der Bundesregierung nicht bekannt.

Ganz anders positionierte sich der größte Geldgeber der Weltbank: Die Regierung der Vereinigten Staaten hat sich enthalten. Es sei „nicht überzeugend“, dass die Weltbank der Argumentation Tansanias folge und damit einen „bedauerlichen Präzedenzfall“ schaffe. Bei der Schutzklausel gehe es nicht darum, irgendwem Sonderrechte einzuräumen, sondern um den Schutz verletzlicher Gruppen. Menschen wie Kidomwita. Der 60-Jährige gehört zu der Gruppe der Barabaig, das sind Nomaden, die von Viehzucht, Ackerbau und der Jagd leben.

Arbeiter auf den Plantagen bekommen nicht einmal den nationalen Mindestlohn

Kidomwita zeigt ein breites Lächeln, als er die Hütte aus Lehm und Stöcken seiner Frau Annie Malinja erreicht. Er trägt ein blau-goldenes New-York-Yankees-Cap und einen langen Speer an seiner Seite, ein Zeichen für seinen Ruf als guter Krieger. Er macht sich Sorgen um die Weidegründe, die immer knapper werden: „Es ist, als würden wir in Tansania nicht existieren. Es ist, als wäre es nicht unser Land.“ Auch sein Nachbar Nevdu Gileksa, 45 Jahre alt, fühlt sich von der Regierung im Stich gelassen: „Die anderen werden Investoren genannt, wir Eindringlinge.“ Im Alter, erzählt Kidomwita, werde es für ihn immer schwerer, weite Strecken zu laufen, das Wasser werde knapp. „Wir leiden.“

Ein Großteil der tansanischen Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft und der Tierhaltung. Das Project Sagcot wurde 2010 beschlossen mit dem Ziel, innerhalb von 20 Jahren über Investoren die Job- und Einkommenssituation vieler Menschen in der Region zu verbessern.

Das Misereor-Hilfswerk hat im vergangenen Jahr einen Bericht über Sagcot veröffentlicht, in dem steht, dass die Kleinbauern oft nicht von Großprojekten profitieren. Durch die Weitergabe des Landes an Investoren reiche Familien das verbliebene Land oft nicht, um sich selbst zu ernähren. Und als Arbeiter auf den Plantagen bekämen sie zum Teil nicht einmal den nationalen Mindestlohn von umgerechnet etwas mehr als zwei Euro. Das reicht kaum fürs Überleben.

Der Misereor-Bericht lag der Bundesregierung vor. Die Entscheidung, dem Projekt dennoch zuzustimmen, begründet sie damit, dass es auch Studien gebe, die zu dem Schluss kommen, das Projekt könne die sozioökonomischen Bedingungen der Menschen verbessern. Man setzte sich außerdem für eine Stärkung der Schutzmaßnahmen ein, die gerade überarbeitet werden. Nur, was nützen die, wenn man sie außer Kraft setzen kann?

Vor etwa einem Jahr schon geriet die Weltbank in die Kritik, weil nach Recherchen des ICIJ öffentlich wurde, dass innerhalb von zehn Jahren etwa 3,4 Millionen Menschen im Zuge von Weltbankprojekten umgesiedelt, von ihrem Land vertrieben worden waren oder teilweise ihre Lebendsgrundlage verloren hatten. Damals versprach Weltbankpräsident Jim Yong Kim, man wolle es zukünftig besser machen und auch die Bundesregierung versicherte auf Nachfrage, sich verstärkt für Menschenrechte einzusetzen.

Der Linken-Entwicklungspolitiker Niema Movassat ist der Ansicht, dass Deutschland trotz der Versprechungen nicht zum Schutz von Indigenen beitrage: „Die Bundesregierung hat zahlreiche problematische Projekte nicht verhindert, obwohl es einschlägige Beweise für Vertreibungen und andere Missstände gab“, sagt er.

Kidomwita hat bereits Besuch bekommen von Offiziellen, die im Namen der tansanischen Regierung das Land, auf dem er lebt, begutachtet haben. Kidomwita sagte ihnen, dass er nicht gehen möchte. „Sie waren nicht sehr mitfühlend“, sagt er. Auch wenn die Offiziellen nicht im Namen von Sagcot unterwegs waren, so gehört das Projekt zu den größten Profiteuren des geplanten Damms. Kidomwitas Dorf liegt mitten auf einer Fläche von 90 000 Hektar in der Morogoro-Region, also dort, wo Agrarinvestoren künftig Reis oder Zucker anbauen wollen. quelle: sueddeutsche.de

6 Gedanken zu „landraub: „als würden wir nicht existieren“

  1. Hallo Einsiedler,

    der Bericht erinnert mich sehr an die weltweiten Machenschaften des Atomkonzerns Areva.

    Dieser verfolgt eine sehr ähnliche Politik. Er verbündet sich mit den Machthabern/Regierungen der Länder, in denen er zum Beispiel Uran abbaut, eine Wiederaufbereitungsanlage oder ein KKW baut. Die so geschaffene wirtschaftliche Win-Win-Situation geht allerdings – wie auch oben dargestellt – auf Kosten der Ureinwohner.

    Auch die Umwelt nimmt dabei oft großen bleibenden Schaden. Bei entsprechender Recherche über Areva findet man rasch auch Fälle, die in Afrika vorgekommen sind.

    oekobeobachter

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