dem leben so nah wie noch nie: landlebenblog – notizen aus der provinz – dieses interessante blog habe ich kürzlich entdeckt, und in der rhein-neckar-zeitung erklärt die swr-moderatorin friederike kroitzsch, warum sie sich fürs landleben entschieden hat:
„Meine Freunde haben mich zunächst für vollkommen verrückt erklärt. Dass ich aus Berlin weggezogen bin, aus beruflichen Gründen, nach Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen, das hatten sie noch irgendwie geschluckt – aber jetzt ausgerechnet in den Odenwald, wo immer der sein mag? Nein, das ist zu viel für die Berliner Seele, die ja eigentlich ohnehin nur einen einzigen lebenswerten Ort auf dieser ganzen großen Welt kennt. So gesehen ist der Berliner an sich ja ziemlich provinziell in seinem Denken.
Nun also lebe ich am vermeintlichen Ende der Welt, in einem Dorf mit 362 Einwohnern, einer Kreuzung und einem gelben Briefkasten. In einer Region, die im Untertitel „Badisch-Sibirien“ heißt, aus mehr oder weniger lustigen Gründen, die sich dem Zugereisten nach und nach erschließen. Und, allen Unkenrufen zum Trotz: Ich genieße es. Immer noch und immer wieder. Genieße die Luft und den weiten Horizont, den tiefen Wald und die sanften Hügel, alles nur ein paar Schritte vom Haus entfernt. Genieße die Abende mit Freunden, die aus allen Himmelsrichtungen durch den Wald gefahren kommen, auf dem Tisch die Beute eines Tages, gebraten und gedünstet. Genieße die sternklaren Nächte und die Finsternis, wenn um kurz vor Mitternacht die Laternen ausgeschaltet, die Bürgersteige hochgeklappt werden.
Genieße das Überschaubare, die Nähe, das Miteinander der Dorfbewohner. Frage mich, wie ich es so lange in der Großstadt ausgehalten habe, in Dreck, Gestank und Lärm, in überfüllten U- und S-Bahnen, beim Rudelwandern im Grunewald, immer und überall mit den Ellenbogen andrer Leute in den Rippen. Ich habe mich mit der Zeit auch an ein paar der Nachteile gewöhnt, die das Leben in einer der strukturschwächsten Regionen im reichen Baden-Württemberg so mit sich bringt. Über diesen Aspekt des Landlebens werden wir dann vermutlich noch mal ausführlich reden müssen, wenn ich ein paar Jahre älter bin. Für den Moment gilt: Danke, mir geht’s richtig gut hier. Weit, weit ab vom Schuss, und dem Leben trotzdem so nah wie nie.
Zugegeben: In den ersten Jahren hätte ich mir deutsche Untertitel gewünscht, unten im Bildrand irgendwie, wenn man jemanden anschaut, aus dessen Mund in viel zu schneller Reihenfolge komplett unverständliche Laute herausquellen. Eine Art Dolmetscher-programm. Aber ich habe gelernt wie eine brave Streberin, und inzwischen verstehe ich zumindest einen Großteil der Odenwälder Worte. Eine Übersetzungshilfe braucht es trotzdem ab und zu noch, weil zugereiste Berliner und nordbadische Landmenschen einfach manchmal unterschiedliche Sprachen sprechen, so ähnlich sie auch klingen mögen.
„Aber was ist mit der Kultur?“, werden Städter jetzt fragen. So etwas fragen Städter mich ja immer. Städter verbringen offensichtlich 90 Prozent ihrer Lebenszeit in Theater, Kino und Museen. Hatte ich genug und überall in Berlin, zwanzig Jahre lang. Brauche ich nur selten. Ich habe nicht mal einen Fernseher. Unser Kulturprogramm machen wir uns im Zweifelsfalle selber: Wenn mein Mann in der Küche mit einer frisch erlegten Wildsau kämpft, ist das ganz großes Kino, und wenn ich, juchzend vor Vergnügen, mit den Händen im Gemüsegarten nach Kartoffeln grabe, über stundenlanger Erbsenpulerei wehklagend verzweifle oder dem staunenden Publikum stolz meinen Steinpilzfund präsentiere, dann ist das schon genug Theater. Meine größten Auftritte übrigens habe ich im Blaumann, meinem absoluten Lieblingskleidungsstück. Dass der inzwischen so verdreckt ist, dass er von alleine stehen kann, macht mich schon ziemlich stolz.
„Sag mal, verblödet man da nicht, bei Euch im Wald?“, hat mich neulich wieder die 80-jährige Tante in ihrer unnachahmlich direkten Berliner Art am Telefon gefragt. Die Tante ist im Prinzip ja durchaus liebenswert , hängt aber eben leider seit 80 Jahren dem Berliner Irrglauben an, dass man nirgendwo auf dieser Welt leben kann, außer eben in Berlin. Verblöden? Ich habe noch nie soviel gelernt (und lernen müssen), wie hier in der vermeintlichen Provinz. Ich weiß heute (fast) alles über Hühnerzucht und Hasenhaltung, weiß, wie man Siebenschläfer fängt und bändigt, weiß, wie man Schafe in den Stall treibt und Gänse um die Ecke bringt. Ich kann Kartoffeln setzen und Steinpilze vom Gallenröhrling unterscheiden, ich kann aus Küken stolze Hähne machen, ich bediene die Wippsäge, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes getan. So was muss mir ein Berliner erst mal nachmachen.
Neulich habe ich der weltgewandten Tante in Berlin erklären müssen, dass Hühner immer Eier legen. „Auch ohne Hahn?“ Auch ohne Hahn. War ihr völlig neu. „Was Du alles weißt“, sprach die 80-Jährige ins Telefon. Und wenn ich mich nicht täusche, schwang da so was wie eine klitzekleine Bewunderung mit.“
Bin vor 4 Jahren von Berlin in ein Dorf in Österreich gezogen. Und du sprichst mir aus der Seele. LG von gartenkuss 🌸
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